Marion Scharmann

Unter Umständen. Eine Vermutung

Sechs großformatige Acrylglasplatten hängen an feinen Drahtseilen von der Decke und schweben nur Millimeter über dem Boden. Alle Platten sind gleich groß und parallel hintereinander gestaffelt. Sie sind jedoch weder bündig noch in gleichem Abstand zueinander angeordnet. Sie dehnen sich nach allen vier Seiten im Raum aus und durch die Drahtseile sogar bis zur Decke. Die Acrylglasplatten der Arbeit „Unter Umständen. Eine Vermutung“ von Christina Kramer dominieren einerseits den Raum durch ihre Größe, Massivität und Ausdehnung, doch gleichzeitig scheinen sie sich im Raum aufzulösen, denn die Transparenz und der Schwebezustand verleihen dem Werk eine Leichtigkeit, die der raumgreifenden Schwere der Platten gegenübersteht.

Auf den Oberflächen sehen wir schwarze, scharfkantige Linien, die per Hand gedruckt sind. Gerade gezogene Linien werden dabei mit dynamisch geschwungenen verknüpft und unterstreichen die Leichtigkeit und die Poesie des Werks. Innerhalb der geschichteten Installation entsteht eine filigrane Zeichnung, die von Linie zu Linie, von Fläche zu Fläche springt, den ganzen Raum durchmisst und ihre Dynamik auf den Betrachter überträgt. Erst dieser vollendet das Werk.

Seine Bewegungen im Raum, die das Werk umkreisen und es durchschreiten, eröffnen stets neue Blickwinkel, konstant sich wechselnde Ansichten und Raumgefüge. So sieht man sich amorphen, offenen Formen gegenüber und im nächsten Moment fühlt man sich an etwas Konkretes, gar Alltägliches erinnert wie bspw. Oberleitungen. Das Liniengewirr verdichtet sich, um sich im nächsten Moment wieder zu lichten und im Raum aufzulösen. Man nimmt den Raum körperlich wahr, aber auch als Bild und ebenso wird die Raumerfahrung durch das eigene Spiegelbild in den Acrylglasplatten komplementiert.

Es sind die Gegensätze, die im Miteinander die Werke von Christina Kramer so lebendig machen: Das Zusammenspiel von Fläche und Raum, von Monumentalität und Dynamik, das Zusammentreffen von geraden Achsen und Kanten mit schwungvollen Linien, der Blick auf die Oberfläche und durch sie hindurch, die Interaktion von Körper und Bild, von real erfahrbarem und illusionistischem Raum. Die Komplexität der raumgreifenden und zugleich subtilen Werke von Christina Kramer erschließt sich durch den Dialog – zwischen den einzelnen Elementen sowie zwischen Werk und Betrachter.

Ausstellung: Von Dissidenten und Draufgängern
17.03.2017- 18.04.2017, jagla Ausstellungsraum, Köln
Publikation: Christina Kramer Points, Lines, Planes
2019, mit Texten von Konstantin Butz, Cornelia Kratz, Stefan Niklas, Britta Tewordt
 
Christina Kramer